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Warum empfinde ich Hass auf Menschen?

Anastasia Bestmann

Jan 12, 2024

Was verleitet mich dazu, schlecht über andere zu denken?

Wir glauben oft, dass wir das Verhalten anderer Menschen vorhersagen können. Wenn Lisa neunmal zu spät kam, denken wir, dass sie auch dieses Mal zu spät kommen wird. Doch tatsächlich stehen die Chancen jedes Mal bei 50 %, dass sie dieses Mal pünktlich ist.

Wenn wir uns selbst manchmal ein Rätsel sind – wie können wir dann sicher sein, wie der/die andere bei unserer nächsten Begegnung sein wird? Wir Menschen sind absolut unvorhersehbar! Es gibt den freien Willen, Entwicklung und Veränderung.

Jeder kennt es: Wenn sich zwei Menschen verlieben, glauben sie, genau zu spüren und zu wissen, was der andere denkt und fühlt. Aber die Ernüchterung lässt oft nicht lange auf sich warten – und die gegenseitige Enttäuschung ist riesig. Oder bei Verhandlungen: Man trifft mündliche Vereinbarungen und stellt beim nächsten Treffen fest, dass alles anders verstanden und gemeint war.

Ein Mensch ist keine Gleichung, die ich lösen kann.

Jeder Mensch zeigt sich jeden Tag neu, so wie er/sie ist. Ich erfahre dies und das über diese Person, aber das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus der Unendlichkeit ihrer möglichen Ausdrucksformen. Das bedeutet, ich kenne nur einen Bruchteil der Person, und selbst dieser Bruchteil unterliegt ständiger Veränderung. Der Großteil bleibt mir verborgen, und so entsteht viel Interpretationsspielraum. Unser Gehirn kann es nicht ertragen, wenn dieser Raum leer bleibt, und beginnt, die Leere mit – in diesem Fall – negativen Gedanken zu füllen.

Ich muss lernen, diese Leere auszuhalten.

In dem Moment, in dem ich die Leere mit meinen Gedanken ausfülle, erzeuge ich gedanklichen Müll. Denn ich habe keine Möglichkeit, genau zu wissen, was der andere denkt oder meint – außer, sie erzählen es mir selbst.

Dazu habe ich zwei Metaphern, die mir helfen, diese Idee zu verinnerlichen. Die erste ist der Vergleich mit einer Wasserquelle: Wenn ich die Quelle (=Person) mit meinen Gedanken zuschütte, hat sie keine Möglichkeit, sich zu zeigen. Lasse ich sie aber frei, kann das Wasser fließen und sich auf seine eigene Weise offenbaren.

Bei der zweiten Metapher kannst du dir vorstellen, du würdest ein Porträt der Person malen. Das Bild hat viele Details und Facetten, wie die Person selbst. Du malst jedoch nur einen Teil des Bildes aus und lässt es bewusst unvollständig. Du hältst dich zurück und vollendest es nicht. Stattdessen lässt du der Person Zeit und freust dich, wenn sich das Bild von selbst vervollständigt – vielleicht ganz anders, als du es erwartet hast.

Negative Gedanken fressen Energie

Niemand wird bestreiten, dass negative Gedanken eine große Menge Energie freisetzen. Man sagt: „Es ist so anstrengend.“ Was man eigentlich meint, ist, dass es viel Energie kostet oder verbraucht. Was will uns dieser Energieverbrauch sagen?

Oft kritisieren wir Eigenschaften bei anderen, weil es Eigenschaften sind, die wir selbst haben und an uns nicht mögen. Durch die Kritik wollen wir diese Eigenschaften bei uns selbst übersehen.

Neid ist ein besonders energieintensives Gefühl. Er zeigt uns, was die Person hat oder tut und was wir auch gerne hätten oder täten, aber es nicht können oder tun. Das frustriert uns.

Eine Klientin kam zu mir mit dem Gefühl, von den Frauen in ihrem Umfeld ausgegrenzt zu sein. Sie wollte eine Nachbarin als Freundin gewinnen, doch diese zeigte kein Interesse. Im Laufe des Gesprächs stellte sich heraus, dass sie nicht wirklich an der Freundschaft interessiert war, sondern an den Fähigkeiten der Nachbarin, ihr Haus zu dekorieren. Sie wollte die Freundschaft, um diese Fähigkeiten zu erlernen. Sie war neidisch darauf, wie gemütlich und stilvoll die Nachbarin ihr Zuhause einrichten konnte. Als sie ihre Energie von Neid und Kränkung auf die Dekoration ihres eigenen Hauses umlenkte, hatte sie keine Zeit mehr, sich Sorgen über die Freundschaft zu machen.

Wenn wir erkennen, welches wahre Bedürfnis hinter den negativen Gedanken steckt, können wir neue Kräfte mobilisieren, um in die gewünschte Richtung zu gehen. Wir entdecken Glaubenssätze, die uns im Weg stehen, und nutzen die negative Energie, um etwas Positives in der Realität zu bewirken. Wir wandeln die Energie um und machen sie uns zunutze.

© Anastasia Bestmann 2024

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