Yellow Flower

Was tun, wenn ich Hass auf Menschen empfinde?

Anastasia Bestmann

06.04.2024

Ich denke schlecht über andere

Mich plagen negative Gedanken über Menschen aus meinem Umfeld. Zum Teil sind das meine Freundinnen, Nachbarinnen, zum Teil unbekannte Personen, die ich aufgrund ihrer Taten oder sogar ihrer äußeren Erscheinung verurteile.

Wenn ich über jemanden schlecht denke, geht es mir wie einem Hund, der ein Messer ableckt: Er schneidet sich die Zunge, und es tut weh, doch gleichzeitig schmeckt sein Blut zu gut, um mit dem Lecken aufzuhören, und er macht immer weiter.

Das Angenehme an Vorurteilen ist, dass ich mich dabei schlau fühle. Mein Gehirn suggeriert mir in diesem Moment: „Ich weiß es besser als die, ich kann und mache es besser als die, ich bin einfach besser!“ Das versetzt mich in einen kleinen Rausch und fühlt sich gut an. Gleichzeitig tut es weh, denn ich habe gerade negative Gedanken in mir. Ich denke schlecht über andere, bin eingebildet, stelle mich über andere – das will ich nicht.

Negative Gedanken nehmen mich blitzschnell ein, sodass ich keine Chance habe, mir dessen bewusst zu werden. Wenn ich Glück habe, mich dabei zu ertappen, kreisen die Gedanken weiter, und mein Gehirn erfindet Gründe, um nicht aufzuhören: „Aber das stimmt doch, was du gerade denkst. Er hat dich reingelegt, das war einfach unfair!“ oder „Wie konnte sie nur?! Das kann ich so nicht stehen lassen.“ und so weiter.

In dem Moment, in dem die Gedanken kommen, schaffe ich es fast nie, sie zu stoppen. Doch ich will es jedes Mal versuchen. Wie könnte so ein Versuch aussehen?

Raus aus dem Gedankenkarussel

Als Erstes muss ich mir selbst verzeihen, dass ich in negativen Gedanken gefangen bin. Ich muss mir eingestehen, dass ich nicht erleuchtet bin. Nein, ich habe in meinem Leben noch nicht genug meditiert. Nein, ich kann nicht von mir erwarten, alle Menschen gleich zu lieben. In manchen Religionen ist es die höchste Disziplin, andere Menschen wie durch die Augen „der Göttin, des Gottes, der schöpferischen Kraft“ zu sehen. Gemeint ist, dass man für alle Menschen, egal wie sie sind, aufrichtig Liebe empfindet. Ich muss mir nichts vormachen – das kann ich noch nicht.

Ich akzeptiere mich so, wie ich bin: dass ich manche Leute nicht mag, sie hasse, und alle Abstufungen dazwischen. Gleichzeitig kann ich Menschen lieben, barmherzig und nachsichtig sein, aber eben auch nachtragend, gemein und rachsüchtig. In dem Moment, in dem ich wegen des letzten Trios Schuld verspüre, schaffe ich ein zusätzliches Problem (ich fühle mich schuldig) zu dem bestehenden Problem (ich empfinde Hass).

Ich erlaube mir, Hass zu verspüren.

Der zweite Schritt ist das Erden. Sobald ich es also geschafft habe, mich bei solchen Gedanken zu ertappen, lenke ich den Fokus auf meine unmittelbare Umwelt: Hier wächst Gras, dort steht ein Baum, da liegt Papier, von irgendwo höre ich Musik. Das sind echte Dinge, die uns ins Hier und Jetzt holen. Dagegen ist der Inhalt der negativen Gedanken nicht echt, er ist meist ausgedacht und hat mit den Fakten wenig zu tun.

Oft passiert es automatisch, dass man durch die Beobachtung der Umwelt erkennt, wie unfassbar wundervoll sie ist: Ein Grashalm wächst einfach so, der Baum ist so einzigartig, kraftvoll und alt – woher kommt er? Dieses Blatt Papier wurde so perfekt produziert – nur für mich! Wow! Das Staunen, die Begeisterung, die Liebe für diese Welt können unendlich sein.

Ich erde mich und stelle den Kontakt mit der echten Welt wieder her.

© Anastasia Bestmann 2024

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